Angeghakot - Jeghegnadsor
ca. 150 km
Tag 1
18.09.2024
16 km
Endlich konnte ich zurück an die Stelle, an der ich letztes Jahr meine Wanderung abbrechen musste. Nach einem Tag in Jerewan ging ich wieder zur gleichen Busstation und nach etwas warten bekam ich auch noch ein Ticket für den Bus nach Goris. Aber nur unter der Bedingung, dass ich den zweiten Teil der Busfahrt auf einem Klapphocker im Gang sitzen würde. Da ich einfach nur zum Anfang des Trails wollte, war das kein Problem für mich. Zudem hatte ich sogar noch angenehme Gesellschaft für die Fahrt. Ein französisch-deutsches Paar in ihren Sechzigern fuhren auch mit. Die beiden sind mit dem Fahrrad bis nach Armenien gefahren und erkunden das Land jetzt teilweise per Bus oder zu Fuß. Da sie einige Teilstücke des TCT in den nächsten Tagen gehen wollten, konnte ich ihnen sogar noch ein paar Tipps geben. Dennoch war ich froh, als ich endlich meinen unbequemen Hocker verlassen konnte und an der Straße nach Angeghakot rausgelassen wurde. Anfangs fühlte sich der Rucksack auf dem Rücken und das Laufen wieder an, als würde ich es das erste Mal machen. Ich hoffe, der Flow kommt dennoch wieder. Die Strecke und das Wetter an diesem Tag waren noch nicht wirklich vielversprechend, aber das konnte meine Freude am Wandern nicht bremsen. Es ging entlang des Vorotan Richtung Norden. Der sonst einfache Weg wurde künstlich erschwert, da die Wasserleitung, welche direkt daneben oberirdisch verläuft, an einigen Stellen Lecks hatte. Dort bildeten sich kleine Seen und schon am ersten Tag war der Traum von trockenen Füßen dahin. Nach einem kurzen Anstieg fand ich eine vereinzelte Baumgruppe, neben der ich mein Zelt etwas windgeschützt aufstellen konnte.
TAg 2
19.09.2024
32 km
Am Morgen kam ich an der Staumauer des Spandaryan-Stausees vorbei. Es ist der größte seiner Art in Armenien und hat auch zwei Dörfer in den Wassermassen untergehen lassen. Ich lief 14 km am Ufer entlang bis nach Gorayk. Dort gab es zumindest eine Tankstelle mit Imbiss und Toilette, ein willkommenes Angebot bei Nieselregen und Temperaturen um die 10°C. Danach ging es für mich immer bergauf zum Vorotan Pass, welcher die Grenze zwischen den Provinzen Syunik und Vayots Dzor bildet. Die erste von acht Provinzen war schonmal geschafft. Am Pass musste ich mir alle Kleidung anziehen, die ich so mit hatte. Auf 2350 m waren nur noch 5°C, Regen und starker Wind. In diesen Bedingungen durfte ich dann noch etwas länger verharren, da mich 8 Hütehunde umringten. Diese gehörten zu einer Schafherde mit schätzungsweise 200 Tieren und nur einem Hirten. Entsprechend lange dauerte es, ehe diese Gruppe den “Highway” überquert hatte und die Hunde von mir abließen. Immerhin waren die Hunde nicht aggressiv, solange ich mich nicht bewegte. Da es schon 19 Uhr dunkel wurde, musste ich dann mein Zelt unterhalb des Passes etwas windgeschützt an einem Busch, aber auf ziemlich schrägen Untergrund aufbauen. Trotz des Rutschens auf der Luftmatratze bekam ich einen erholsamen Schlaf.
Tag 3
20.09.2024
23 km
Nach einem kurzen Abstieg und gleich darauf einem Anstieg bekam ich das erste Highlight des Tages zu sehen. Der “Hayeli Lich” (Spiegelsee) ist vor allem bekannt durch seine kleinen Inseln, die mit etwas Fantasie eine Weltkarte ergeben. Die Aussicht vom Pass wurde mir dann noch mit einer Begegnung versüßt. Mir kam ein australisches Paar entgegen. Es tat gut, sich auch mal wieder in einer Sprache auszutauschen, die man auch verstand. Ich konnte ihnen sogar Tipps zum Wandern in ihrem Heimatland geben, denn sie wollen auch den Bibbulmun Track gehen. Eine fabelhafte Idee, wie man an den Bildern hier sehen kann. Im nächsten Ort, Artavan, gab es eine Cola, etwas Süßes und Klopapier. Alles wahre Stimmungsaufheller bei immer schlechter werdendem Wetter. Im strömenden Regen und dichten Nebel ging es ca. 700 Höhenmeter bergauf. Ich muss zugeben, dass ich mich etwas über die fehlende Aussicht ärgerte. Die Australier meinten, dass es Eine der schönsten auf dem Weg sei. Als ich aber am höchsten Punkt war, durfte ich für 5 Minuten doch den Blick ins Tal erahnen, perfektes Timing. Bei Eiseskälte ging es vorbei an steilen Klippen wieder die gleichen Höhenmeter auf der anderen Seite bergab. Erschöpft schlug ich mein Zelt nahe einer weiteren Sehenswürdigkeit der Region auf. Hierbei handelt es sich um einen steinernen Bogen aus Basalt, in einem engen Tal. Als ich mich auf dem Weg dorthin befand, hörte ich Schüsse, die in vielen Echos von den Steinwänden zu mir kamen. Durch die Situation ein wenig angespannt, blieb ich nur kurz und verschwand schnell in meinem Zelt.
Tag 4
21.09.2024
32 km
Nur einige Meter von meinem Zelt entfernt besichtigte ich am Morgen eine Gruppe von Kreuzsteinen (“Chatschkar”). Diese Gedächtsnissteine stammen aus dem 12. bis 15. Jahrhundert. Die Symbolik und Handwerkskunst dieser Stelen ist als immaterielles Weltkulturerbe durch die UNESCO ausgezeichnet. Ich finde es immer beeindruckend, dass ich gerade etwas anschauen und anfassen kann, was mal ein Mensch sich vor über 800 Jahren ausgedacht hat, irgendwie unwirklich. Weiter ging der Weg für mich über eine Schotterstraße nach Gomk. Danach über einen schönen Pfad bis nach Martiros. Dort lief ich an einer großen Feiergesellschaft auf dem Dorfplatz vorbei. Ich wollte aber lieber in Ruhe die schöne Kirche des Ortes besichtigen. Die Gebäude aus dem Jahr 1866 lassen erahnen, wie auch alle älteren Klöster in Armenien einmal ausgesehen haben könnten. Mit den schönen Gartenanlagen lud das Gelände auch gleich zum Verweilen ein. Auf dem Weg aus dem Ort heraus rief ein älterer Mann zu sich. Er machte den Kofferraum seines Lada auf und gab mir eine Handvoll getrocknete Früchte als Geschenk mit. Dankbar über die unverhoffte Stärkung vergingen die letzten Kilometer wie im Flug und ich fand ein gemütliches Plätzchen zum Schlafen in einem Birkenwald.
Tag 5
22.09.2024
22 km
Kurz nachdem ich zusammengepackt hatte und losgelaufen war, wollte ich meine Wasservorräte in Horadis auffüllen. Da ich wusste, dass der Ort eigentlich keine Einwohner mehr hat, habe ich auch niemanden erwartet. Ich lag wohl in meinem Leben selten so falsch. An der Wasserquelle wurde ich von Tigran und 2 seiner Freunde angesprochen. Sie machten mir deutlich, dass sie mich in ihr Haus einladen wollten. Ich ging gerne mit, ich bin ja hier für die Erlebnisse, die man nur auf Reisen machen kann. Im Haus angekommen, machte ich noch mit 3 weiteren Männern Bekanntschaft. Alle sahen ziemlich verkatert aus, was man über mich nach diesem Besuch sicherlich auch sagen kann. Ich wurde erst auf ein Bier eingeladen, dann gab es Frühstück: Ziege, Kartoffeln und Gemüse. Wahrscheinlich die Reste vom Vortag, aber für mich war es wie ein Festmahl. Dazu wurden immer wieder Runden Birnen- und Pflaumenschnaps ausgeteilt. Ich musste immer mittrinken, meine neuen Freunde teilten sich rein, da nicht alle in dem Zustand waren eine weitere Runde mitzumachen. Die Kommunikation durch Google Übersetzer funktionierte dennoch erstaunlich gut. So bekam ich heraus, dass die Freundesgruppe sich noch aus Schulzeiten kennt und immer mal am Wochenende einen Männerausflug macht. Einer von ihnen, Honan, besaß hier in Horadis das einzige Haus und einen Stall. Ich glaube das wäre auch etwas für meinen Lebensabend. Weiter ging es mit Kaffee und Obst. Nebenbei wollten sie mir das Kartenspiel Durak beibringen, aber selbst nach der deutschen Erklärung bei Wikipedia schaffte ich es nicht wirklich mitzuspielen. Stattdessen gingen wir noch zur Kirchenruine und machten dort ein paar Bilder. Zum Abschluss dieser freudigen Begegnung gab es noch Melone. Nach gut 3 Stunden bedankte ich mich vielmals für die Gastfreundschaft und verabschiedete mich.
Nach einem kurzen Anstieg traf ich auf ein paar Soldaten, die ich aber etwas umging, da ich erstmal genug soziale Interaktion hatte. Auf meinem Weg ging es durch wunderschöne Täler bis ich am Abend einen Blick auf Noravank, einer bekannten Klosteranlage, werfen konnte. Als ich mein Zelt schon aufgeschlagen hatte, kam ein Paar vorbei, die mir berichteten, dass sie gerade einen Bären in der Ferne gesehen hätten. Nach einigen unruhigen Minuten und einsetzender Dämmerung entschied ich mich weiter zu laufen, ohne eine wirkliche Lösung für mein Problem zu haben. Mittlerweile war es stockfinster und ich lief verängstigt den Weg entlang. Dieser ging durch das Gebiet einer kleinen Militärstation. Dort wurden die Wachhunde auf mich aufmerksam und rannten in meine Richtung. Im Schlepptau hatten sie 2 Soldaten mit geladenen Waffen. Nachdem ich mich lautstark als Tourist zu erkenn gab, begleitete ich sie zurück zur Basis. Dort gab es nach einer Ausweiskontrolle und netten Gesprächen auf Englisch eine Lösung für mein Übernachtungsproblem. Die Soldaten bestellten mir ein Taxi das mich in die nächste Stadt, Jeghegnadsor. In der Zwischenzeit bekam ich Tee und Bonbons. Leider habe ich keine Bilder dieser Situation, da die Soldaten mich baten sie zu löschen. Dem kam ich natürlich gerne nach, da sie auch nur um ihre Sicherheit an diesem grenznahen Posten bedacht waren.
Die folgende Taxifahrt war länger als gedacht, weil der Fahrer und ich verschiedene Ansichten darüber hatten, wo ich übernachten sollte. Am Ende kam ich dennoch erschöpft, etwas verwirrt, aber alles in allem dankbar auf dem Campingplatz an, konnte mein Zelt aufstellen und mich erstmal ausruhen.
Tag 6
23.09.2024
20 km
Die Aktion vom Vortag hatte auch eine sehr vorteilhafte Situation hervorgebracht: Ich konnte den Großteil meines Gepäcks beim Campingplatz lassen und mit einem kleinen Tagesrucksack den Tag bestreiten. Der Inhaber der Unterkunft rief für mich einen Taxifahrer an und dieser brachte mich zurück nach Noravank. Da es erst 9:30 Uhr war und das für armenische Verhältnisse quasi vor dem Aufstehen ist, war ich komplett allein in der Klosteranlage. Noravank („Neues Kloster“) besteht aus verschiedenen Gebäuden, die zwischen dem 9. und 14. Jahrhundert erbaut wurden. Da gleich nebenan ein integriertes Hotel im Klosterkomplex zu finden ist, wird Noravank wohl nie UNESCO Weltkulturerbe habe ich mir sagen lassen. Beeindruckend ist es allemal und eine der am schönsten gelegenen Klosteranlagen, die ich kenne. Ich verbrachte einige Zeit mit dem Erkunden aller Gebäude. Danach machte ich mich auf den Weg nach Jeghegnadsor. Nach sehr anstrengenden 7 km ohne wirklichen Weg und einigen Höhenmetern war ich froh wieder eine Straße zu sehen, die mich schneller an mein Ziel bringen sollte. Meine neu erlangte gute Stimmung wurde zweimal von einem Gewitter und sogar Hagelregen etwas getrübt. Vor allem bei dem exponierten Gelände, auf dem ich mich befand, habe ich mich nicht ganz so sicher gefühlt. Immerhin hatte ich eine warme Unterkunft und eine Dusche in Aussicht.
Den Abend verbrachte ich im Gemeinschaftsbereich des Campingplatzes zusammen mit Raul. Der Baske aus San Sebastian war mit dem Fahrrad allein durch Armenien unterwegs. Wir hatten also Gesprächsstoff genug und ich war sehr froh mich mal wieder mit jemandem richtig unterhalten zu können.
Tag 7
24.09.2024
0 km
Nach den letzten aufregenden Tagen war mir klar, dass ich einen Pausentag in Jeghegnadsor brauchte. Ich schlief aus, aber irgendwann hatte ich doch so viel Lust auf richtiges Essen, dass ich ein paar Kilometer zum nächsten Restaurant lief. Für den Burger und Pommes hat sich das definitiv gelohnt. Außerdem kam ich auf dem Rückweg an der Agarakadzor Brücke vorbei, welche eine sanierte Bogenbrücke aus dem 13. Jahrhundert ist. Die war früher ein wichtiger Bestandteil des Netzwerkes der Seidenstraße.
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Mum (Samstag, 11 Januar 2025 22:24)
Richtig toll der Beitrag
Elisabeth Georgi (Sonntag, 12 Januar 2025 10:27)
Genialund beeindruckend. Du bist auf jedenfalls der richtige für Kenia. Genial