Meghri - Angeghakot
ca. 200 km
Vorbereitung
24. - 27. Juli 2023
Eigentlich war alles anders geplant.. Um das zu erklären müssen wir ein paar Tage vorher anfangen. Ich kam am 24.07. bereits in Jerewan, der Hauptstadt Armeniens an. Nach einigen Erledigungen und Sightseeing in der Stadt, stand am 27.07. die Weiterreise ganz in den Süden des Landes, nach Meghri, an. Dazu buchte ich über den Angestellten des Hostels, der im Gegensatz zu mir Armenisch sprach, einen Bus. Dieser sollte mich innerhalb von 9 Stunden an mein Ziel bringen. Ich stand also um 7 am Busbahnhof. Was nebenbei gesagt für Armenien sehr früh ist. Die meisten arbeiten erst ab um 9 und die erste Metro fährt auch erst um 7. Ich stand also dort und sah den weißen Mercedes Sprinter, welcher mir beschrieben wurde, um gleich am richtigen "Bus" zu sein. Dort angekommen, standen schon Leute vor dem Auto und innen war auch kein Platz mehr. Ich versuchte mich also mit dem Fahrer zu verständigen, zum Glück konnte jemand von den Außenstehenden etwas Englisch. Aber was soll ich sagen, das Glück war diesmal nicht mit mir und der Bus fuhr ohne mich los. Die Begründung: Der Bus ist voll und wer zu spät kommt, kommt eben zu spät. Schade, aber es war nicht mehr zu ändern. Der nächste Plan war mit dem Bus erst nach Goris, dann nach Kapan und von dort nach Meghri zu fahren. Das klappte auch soweit gut, inklusive abenteuerlicher Fahrweise, Verständigungsproblemen und lauter armenischer Musik. In Kapan angekommen, wurde mir erklärt, dass heute kein Kleinbus mehr nach Meghri fährt. Ich stieg aber trotzdem in einen Mini-Bus (Marshrutka) nach Kajaran (letzter Ort vor Meghri) ein. Leider habe ich bei dieser überhasteten Aktion nicht daran gedacht, dass es schon spät abends war und es eine Stunde Fahrt von Kajaran bis Meghri sind. Ich versuchte dennoch mein Glück, irgendwie per Anhalter noch an mein Ziel zu kommen. Die meisten Fahrzeuge auf der Straße waren armenische oder iranische LKWs, da es die einzige verbliebene (nach den im Krieg an Aserbaidschan verlorenen Gebieten) Straße in den Iran ist, läuft hier auch der ganze Güterverkehr entlang. Auf jeden Fall hatte ich kein Glück, bis auf zwei Jugendliche, die sich einen Spaß daraus machten, mich erst mit einer Mitfahrgelegenheit zu locken, um mich dann nur 500 m weiter wieder aus dem Auto zu schmeißen. Es wurde also Nacht und ich brauchte noch einen Schlafplatz, den ich dann auch 2 km weiter neben einer Seitenstraße fand. Durch den Lärm der Straße nicht die beste Nacht meines Lebens, aber immerhin überhaupt etwas.
Tag 1
28.07.2023
10 km
Da ich immer noch nicht an meinem Startpunkt angelangt war, versuchte ich erneut mein Glück einen Bus nach Meghri zu bekommen. Ich lief also die 2 km wieder zurück nach Kajaran. Dort angekommen, begann ich auch gleich meinen Daumen rauszuhalten und eine Mitfahrgelegenheit zu ergattern. Nach kurzer Zeit hielt ein kleiner Transporter an. Die Verständigung war wie immer schwierig. Aber da die Straße nur ein Ziel hatte, war klar was ich wollte. Wir arbeiteten uns bis auf 2600 m Höhe vor, um dann wieder 2000 Höhenmeter zu verlieren. Zwischendurch sprach ich noch per Videoanruf mit einem guten Freund des Fahrers, der in NRW lebt und arbeitet. Wie schön es doch sein kann, wieder einmal ein vollständiges Gespräch zu führen. An meinem Ziel angekommen, gab mir der Fahrer auch noch einen Donut und Kekse. Mein Geld wollte er auf keinen Fall annehmen. Nach einem kurzen Besuch im Supermarkt war ich auch schon auf dem Weg raus aus der Stadt. Bevor ich aber das Wandern beginnen konnte, hatte ich noch ein erstmaliges Erlebnis. Ich ging die Straße entlang und wurde direkt auf Englisch von einer hübschen Frau angesprochen. Nach kurzem Smalltalk fragte sie, ob ich denn Lust hätte mit ihr Sex zu haben. Ich war etwas perplex, lehnte aber dankend ab. Damit hätte ich nun wieder gar nicht gerechnet. Dazu muss man wissen, dass Meghri eine typische Grenzstadt ist. So ist auch das Angebot für Sex gegen Bezahlung vorhanden, ich nehme an hauptsächlich für die iranischen LKW Fahrer. Nun konnte es also endlich losgehen. Vorbei an einer alten Burgruine ging es immer den Berg hinauf. In der prallen Sonne des Südhangs und knapp 40° C schmolz ich langsam dahin. Die Straße wurde irgendwann zu Trampelpfaden die auf den ersten Bergsattel hinaufführten. Die erste Pause gab es also auf 1100 Metern. Danach ging es seitlich am Berghang durch einen Wald, da merkt man erstmal wie wohltuend ein wenig Schatten sein kann. Die Temperaturen blieben dennoch heiß und die Bäume wurden immer weniger, genau wie mein Wasservorrat. Dieser war bereits 3 km vor der nächsten Quelle aufgebraucht. Entsprechend völlig ausgelaugt kam ich an dieser an. Ich kann gar nicht beschreiben, wie glücklich ich war, dass ich wieder frisches Wasser hatte. Zwar tropfte die Quelle nur, aber ich hatte ja keinen Stress, also konnte ich auch Mal eine Stunde für das Auffüllen von 3 Liter Wasser verbrauchen. Da mich die Erlebnisse des Tages so angestrengt hatten, schlug ich mein Nachtlager auch direkt an der Quelle auf.
Tag 2
29.07.2023
14 km
Nachdem ich, trotz der Angst vor den heimischen Bären, gut geschlafen hatte, galt es erstmal erneut Wasser aufzufüllen. Den langwierigen Prozess konnte ich immerhin mit einem ausgiebigen Frühstück überbrücken. Gut gestärkt ging es dann weiter bergauf. Dabei folgte ich weniger einem Weg, sondern versuchte kleine, pinke Fähnchen zu finden, die hier als provisorische Wegmarkierung dienen. Der Transcaucasian Trail, dem ich folge, ist noch sehr jung und nur teilweise mit Schildern markiert. Somit bestand die Aufgabe oft auch darin, überhaupt den Weg zu finden. Nach einem kurzen steilen Anstieg offenbarte sich auf dem Bergkamm ein bizarres Bild. Auf der Südseite, von der ich kam, war es staubtrocken und es gab nur vereinzelte, vertrocknete Büsche zu sehen. Hingegen am Nordhang zeigten sich saftig grüne Bäume und blühende Wiesen. Mit dem Erreichen des Bergkamms wurde auch der Weg breiter und sogar befahrbar. Zumindest gilt das für armenische Bauern, ich würde dort wahrscheinlich nicht fahren. Ein paar hundert Meter weiter traf ich auf einen vollgepackten, alten Kleinbus. Der Besitzer stand etwas weiter weg und machte gerade Heu. Mein erster menschlicher Kontakt seit längerer Zeit. Nach kurzem Gruß mit "Barev, Barev", also Hallo, ging es wieder den Berg auf der anderen Seite hinunter. Obwohl ich so weit von der Zivilisation entfernt war, fand ich für das Mittagessen einen Tisch mit Bänken. Danach wurde der Weg zunehmend schlechter, bis ich mich durch dichtes Blattwerk und Dornen kämpfen musste. Für die folgenden 3 km brauchte ich 3 ganze Stunden. Eine wahre Geduldsprobe, wenn man bedenkt, dass man die Strecke sonst auch mal in einer halben Stunde zurücklegt. Im Tal angekommen, befand ich mich in den Ruinen des Dorfes Malev. Gleich nebenan liegt die etwas besser erhaltene Siedlung von Abygaz, in die ich als nächstes wanderte. Dort gab es sogar noch Häuser mit Dach. Und obwohl diese Ruinen auch mein Tagesziel darstellen, traute ich mich nicht, in einem solchen Haus zu schlafen. Ich schlug stattdessen mein Zelt etwas weiter weg auf.
Tag 3
30.07.2023
18 km
Der Tag begann mit strahlendem Sonnenschein und ich machte ich mich auf den Weg durch wunderschönen Wald. Immerhin war hier der Weg etwas offensichtlicher, wenn auch sehr langsam zu begehen. Als ich dann aus dem Wald herauskam, hatte ich leider keine malerische Aussicht, denn Nebel verhüllte die hohen Berge um mich herum. Aber immer wenn der Wind die Wolken verdrängte, offenbarte sich die wahre Schönheit der Landschaft. Der Tag war erst recht ereignislos, hatte dann aber gegen Ende noch einige Überraschungen zu bieten. Am späten Nachmittag traf ich einen französischen Wanderer der mir, bei mittlerweile starken Regen, entgegenkam. Nach kurzem Gespräch verschwanden er und „sein“ Hund wieder im dichten Nebel. Da ich mittlerweile ziemlich nass war und ehrlich gesagt wenig Lust hatte heute Nacht draußen zu schlafen, suchte ich nach Möglichkeiten einer Übernachtung in Shishkert, dem nächsten Ort auf dem Weg. Nach einem kurzen Anruf im Khustup Mountain B&B war ich nicht viel schlauer, da ich kein Russisch oder Armenisch sprach und mein Gegenüber kein Englisch. Deshalb sandte ich ihm eine, per Google Translate übersetzte, Nachricht zu. Nachdem der Gastgeber mir vermeintlich bestätigt hat, dass ich bei ihm heute noch unterkommen könne, machte ich mich freudig auf den weiteren Weg. Nach einem ewig langen Abstieg hauptsächlich durch Unterholz im dichten Wald sah ich bereits das auserkorene Ziel. Bevor ich mich aufwärmen konnte, wurde ich von einem Auto aufgehalten. Sie waren auf der Suche nach ihrem Hund und nach einer kurzen Beschreibung in bestem Englisch war mir auch klar, wo dieser ist. Er war dem französischen Wanderer gefolgt und nun weit von seinen Besitzern entfernt. Leider konnte ich ihnen nichts genaueres sagen, da er mir erzählt hat, er möchte auf einer Alternativroute nach Meghri wandern. Ich hoffe sie haben ihren gerade erst erworbenen Hund wiedergefunden. Im Ort angekommen fand der Besitzer eher mich als ich die Unterkunft. Einen Wanderer sieht man hier wohl nicht alle Tage. Der nette, alte Herr führte mich in ein großes Haus, dass für armenische Verhältnisse in gutem Zustand war. Nach einer warmen Dusche wurde ich noch auf einen Tee eingeladen und fiel dann vor Erschöpfung ins Bett.
Tag 4
31.07.2023
26 km
Der Tag startete mit einem ausgiebigen, klassisch armenischen Frühstück (Haykakan nakhajash). Das heißt Lavash (dünnes Fladenbrot), Butter, Honig, Katnashur oder Tvarog (sehr salziger Hüttenkäse), Gurke, Tomate, Salat und Eier. Dazu gab es noch einen schwarzen Tee. Da alles viel zu viel war für eine Person, fragte ich, ob ich den Rest nicht mit auf die Wanderung nehmen könnte. So wurde mir das Ganze freundlicherweise eingepackt und das Mittagessen war gesichert. Die Stärkung hatte ich auch nötig, so sollte es doch heute 1300 Höhenmeter bis auf 3100 m ü. NN gehen. Die 11 km auf den höchsten Punkt der Wanderung ließen sich gut laufen, da es auf einem Feldweg bergauf ging. Oben angekommen war die Wetterlage zwar wechselhaft, aber auch der Ausblick auf die unter einem liegenden war beeindruckend. Bei einer ausgiebigen Pause genoss ich die Reste des Frühstücks und machte mich an den Abstieg. Zwar hätte ich noch auf den nahen Gipfel des Khustup (3210 m) gehen können, aber die Aussicht wurde nicht besser und so entschied ich mich stattdessen weiterzulaufen. Immerhin lag mein Tagesziel ca. 2000 Höhenmeter unter mir. Aber auch die 15 km dorthin vergingen problemlos und boten teils atemberaubende Blicke auf die, tief unter mir liegende, Stadt Kapan. Man wanderte auf einem schönen Bergpfad, der nach der ersten kleinen Siedlung zu einem Feldweg wurde. Auf diesem traf ich dann auch noch ein Paar aus Konstanz. Sie bereisten Armenien eigentlich mit dem Auto, wollten aber auf den Khustup wandern mit einer Übernachtung in der zuvor erwähnten Siedlung. Ich bestätigte ihnen, wie lohnenswert der anstrengende Aufstieg doch sei. Glücklich einmal wieder ein flüssiges Gespräch geführt zu haben, ging ich an die letzten Meter des Tages. Bevor ich mir aber einen Schlafplatz suchen konnte, hielt ein Auto neben mir an. Zu meiner Überraschung sprach der Fahrer gut Englisch. Nachdem ich ihm erzählte, wo ich heute früh gestartet bin und er mehrmals nachfragte, ob das wirklich wahr sein soll, gab er mir eine Dose Cola und ein süßes Gebäck zur Stärkung. Ein wahrlich gutes Geschenk an einem schönen, aber auch kräftezehrenden Tag. Danach baute ich mein Zelt auf einer Wiese am Wegesrand auf und schlief trotz des entfernten Lärms der Stadt sofort ein.
Tag 5
01.08.2023
18 km
Nach einer kurzen Strecke am Fluss entlang ging es in den Ort Verin Vachagan. In dem neben alten Militärfahrzeugen auch ein neuer Tesla stand. Ziemlich obskur wenn man sich die Straßenverhältnisse und auch die Armut im ganzen Land anschaut., aber es sei dem Besitzer gegönnt. Weiter ging es wieder bergauf durch den Wald, diesmal aber nur 700 Höhenmeter bis zur Klosterruine Bekh. Die Anlage aus dem 10. Jh. wird gerade restauriert und ich konnte sie nicht besichtigen. Da nur Pfade zu der Ruine führen, mussten auch alle Baumaterialien zu Pferden den Berg hinaufgeschleppt werden. Eine solche Kolonne traf ich auf meinem Abstieg in das zugehörige Dorf Bekh. Dort bekam ich auch leider das erste Mal so richtig ein großes Problem Armeniens mit, der achtlos in die Natur geschmissene Müll. Sobald ein Stück Natur mit dem Auto zu erreichen ist, sieht man überall Haushaltsabfälle. Ich nehme an es gibt nur eine unzureichende Abfallentsorgung und der Wille, das nötige Verständnis oder die Möglichkeit fehlt, den Müll selbst zu entsorgen. Das erzeugt ihn dort, wo er auf keinen Fall hingehört, in der schönen armenischen Landschaft. Ein komplexes Thema was überall sichtbar ist, aber Armenien hat aktuell einfach größere Probleme als ihren Müll. Nach dem Dorf konnte ich auch wieder durch schönen Wald bis zur Festung Halidzor dahinwandern. Die Anlage wurde eigentlich als Nonnenkloster im 17 Jh. Erbaut, wurde danach unter General Davit Bek zur Festung gegen die Ottomanen kurzerhand umfunktioniert. Heute steht sie als beliebtes Ausflugsziel für Touristen zur Verfügung. Nach einer längeren Erkundungstour durch die alten Gemäuer ging ich weiter in Richtung des Klosters Vahanavank. Als ich dort ankam, war es aber bereits dunkel und ich verschob die Besichtigung auf den nächsten Tag. Ich schlug mein Zelt in der Nähe auf und schlief so unruhig wie selten, da der zugehörige Parkplatz und Park auch nachts rege genutzt wird. Hundegebell oder laute Musik rissen mich immer wieder aus dem Schlaf.
Tag 6
02.08.2023
18 km
Immerhin hatte ich durch die Wahl meines Schlafplatzes den Vorteil am Morgen das Kloster allein besichtigen zu können. Das Kloster Vahanavank stammt aus dem Jahr 911 und die Hauptkirche Sankt Georg ist durch deren hochwertige Restauration noch gut erhalten. Ich bin immer wieder beeindruckt, was ein so kleines Land alles an Geschichte und Kultur für seine Besucher bereithält. Nach einer kurzen Strecke landete ich dann wieder auf der Hauptverbindungsstraße in Richtung Iran. Diesmal nahm ich sie aber in die andere Richtung, um in die Stadt Kapan zu kommen. Dort kaufte ich neuen Proviant ein und nahm gleich wieder den Bus zurück an die Stelle, an der ich den Wanderweg verlassen hatte. Der weitere Tag verlief fast schon unspektakulär durch die wunderschöne Landschaft aber auch durch die von Armut geprägten Dörfer. Einen geeigneten Zeltplatz fand ich dann am Abend nahe des Dorfes Vanek.
Tag 7
03.08.2023
21 km
Da mein Zelt nah an den umliegenden Häusern stand und ich niemanden stören wollte, baute ich bereits in der Dämmerung ab und lief los. Durch die gleiche wunderbare Landschaft durch Wald und Wiesen konnte ich die Gedanken schweifen lassen. Eine Ausnahme bildete ein Wald, den ich nach ca. 4 km erreichte. Dort gab es immer wieder riesige mit großen Dornen besetzte Lianen, welche schmerzhaft waren, falls man sie nicht bemerkte. Als ich den Wald in Tandzaver verließ, war ich erstmal froh, obwohl das auch hieß, dass die nächsten 2 Kilometer auf der vielbefahrenen Straße, welche in den Iran führt, verliefen. Nachdem ich die LKWs hinter mir lassen konnte, lief ich direkt auf die Vorotan-Schlucht zu. Ein wahrlich beeindruckendes Tal mit steilen Hängen. Ich lief noch einige Kilometer an der oberen Kante der Schlucht entlang und schlug dann mein Zelt nahe dem Dorf Bardzravan auf. Auf der Hochebene war es zwar etwas windig, aber mein Zelt hielt dem ganzen Stand.
Tag 8
04.08.2023
26 km
Heute sollte es einmal in die Vorotan-Schlucht hinab gehen und später auf der gleichen Seite wieder hinaus. Zudem sind der gestrige und heutige Tag ein riesiger Umweg, welcher aus eigentlich 6 km Strecke ca. 20 km macht. Ein unnötiges Unterfangen, wenn man schnell vorankommen will. Aber das ist ja zum Glück nicht der Sinn einer Wanderung, zumindest für mich nicht. Stattdessen möchte ich so viel wie möglich von diesem interessanten Land sehen und dabei aber nicht gestresst von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit hetzen. Viel lieber ist mir da die Ruhe des Wanderns, die Zeit und Raum für alle möglichen Gedanken lässt. Nichtsdestotrotz hatte der heutige Tag noch mehr Highlights zu bieten. Mitten in der Vorotan-Schlucht steht die große Einsiedelei von Tatev. Die im 17. Jh. Errichtete klosterähnliche Anlage ist heute eine Ruine und doch hat sie noch einen Bewohner. Ein Mönch der als Selbstversorger lebt und aufgrund eines Schweigegelübdes wohl schon mehrere Jahre kein Wort mehr gesprochen hat. Nun ging es wieder aus der Schlucht heraus. Nach einigen hundert Höhenmetern bekommt man einen guten Blick auf die nächste und wahrscheinlich berühmteste Sehenswürdigkeit im Süden Armeniens, dem Kloster Tatev. Es wurde um das Jahr 900 erbaut, einige Jahre auch als Universität und Festung genutzt und hat eine große Bedeutung für die Menschen der Region. 1931 wurden große Teile der Anlage durch ein Erdbeben zerstört und werden bis heute wieder aufgebaut. Heute ist es neben der eigentlichen Funktion eines Klosters auch ein touristischer Hotspot. Sicherlich kann man die Menschenansammlung nicht mit westeuropäischen Sehenswürdigkeiten vergleichen, dennoch fühlte ich mich dort recht unwohl. Immerhin gab es einen leckeren Shawarma (Fladenbrot gefüllt mit Fleisch und Salat). Die vielen Menschen lockten mich dennoch direkt am Kloster vorbei und ich ging nicht hinein, irgendwie fühlte ich mich fehl am Platz. Ein weiterer Grund, warum hier so unfassbar viele Menschen waren, ist die Tatev Seilbahn. Dieses riesige Tourismusprojekt verbindet die zwei Seiten der Schlucht und macht die nervenaufreibende Fahrt über unzählige Serpentinen der Straße darunter überflüssig. Auch wenn ich diesem Tourismus wenig abgewinnen kann, ist es dennoch schön, dass dadurch deutlich mehr Touristen auch in den Süden des Landes kommen. Ich ging weiter durch das angrenzende Dorf Tatev. Ein Gegensatz wie Tag und Nacht, den hier hielt die allgemeine Armut wieder Einzug. Obwohl es bereits 18 Uhr war, ging ich noch ca. 9 Kilometer und 900 Höhenmeter weiter über einen Berg wieder hinein in die Vorotan-Schlucht. Irgendwoher hatte ich diese Portion extra Kraft bekommen. Als es anfing zu regnen schlug ich in dem Tal direkt auf dem Weg mein Zelt auf. Das war sicherlich nicht die bequemste Nacht meines Lebens, aber besser als nichts.
Tag 9
05.08.2023
20 km
Gleich zu Beginn des Tages kam ich wieder an einer Ruinensiedlung vorbei an Alt-Harzhis. Einige Meter weiter oben auf dem Hochplateau kam ich dann auch durch Harzhis. Viele Siedlungen in der Region wurden aus der Schlucht heraus auf der Ebene neu gebaut. Das bietet eine bessere Straßenanbindung und vermeidet weitere Erdbebenschäden wie die im Jahre 1931. Da oberhalb des Ortes eine Quelle sein sollte, ging ich auch ohne Wasservorrat bis zu besagtem Platz. Aber dort gab es leider nicht einen Tropfen Wasser. Somit ging ich die nächsten 5 km auch ohne Wasser. Das nennt man dann wohl Fasten-Wandern, nur das ich nicht vorhatte das mal auszuprobieren. Eine Erfahrung wert war es dennoch, es zeigte mir immerhin die Abhängigkeit von nur einer Sache, die ich sonst als Selbstverständigkeit ansehe. Der nächste Ort auf dem Weg hätte nicht besser zu dieser Situation passen können. In Shamb gibt es neben einem großen Trinkwasser-Reservoir auch die dazugehörige Mineralwasser-Fabrik. Ansonsten war aber die Gegend wieder extrem trocken und staubig geworden. Eine wahre Oase bildete dabei der Ort Vorotan mit seinen heißen Quellen. Dort badeten bereits viele Einheimische, da Wochenende war. Kurz nach dem Ort traf ich auf die Hauptstraße nach Sisian. Entlang dieser lief ich bis zum Kloster Vorotnavank und der glückliche Zufall ließ dort ein Taxi stehen. Warum verstehe ich bis heute nicht, aber es kam mir gelegen, denn richtig fit fühlte ich mich gerade nicht. Ich nahm also das Taxi in die 16 km entfernte Stadt Sisian. Da ich mein Geld tief in meinem Rucksack verstaut hatte, musste ich einiges auspacken. Darunter war auch mein Außenzelt, welches ich beim Aussteigen vergessen hatte. Diesen schlechten Umstand bemerkte ich aber erst einen Tag später. Ich checkte also frohen Mutes in mein Hotel ein, in dem ich mindestens einen Pausentag machen wollte. Nach einem Einkauf im Supermarkt ging ich auch gemütlich schlafen. Leider blieb die Nacht nicht so ruhig und ich verbrachte einen Großteil dieser auf der Toilette. Ich weiß bis heute nicht, was es war, vielleicht ein Virus, schlechtes Essen oder eine Lebensmittelvergiftung durch das Wasser.
Tag 10
06.08.2023
0 km
Diesen Pausentag hatte ich mir etwas anders vorgestellt. Ich wollte die Stadt erkunden, gutes armenisches Essen genießen und es mir im Bett gemütlich machen. Stattdessen schlürfte ich Tee, aß Zwieback und verbrachte einen nicht unwesentlichen Teil des Tages auf der Toilette. Ich buchte dennoch keine weitere Nacht in dem Hotel. Vielleicht wird es ja morgen besser, so war mein Gedanke.
Tag 11
07.08.2023
16 km
Mein falscher Ehrgeiz brachte mich, in geschwächtem Zustand, zurück zu der Stelle, an der ich den Wanderweg vor zwei Tagen verlassen hatte. Mein Taxi brachte mich wieder zum Kloster Vorotnavank, ein ehemalige große Klosteranlage aus dem Jahr 1000, von der heute nur noch die Johannes-der-Täufer-Kirche und die Ruinen einiger Nebengebäude übriggeblieben sind. Der Weg zurück nach Sisian führte genau auf der Straße entlang, die ich bereits mit dem Taxi gefahren war. Hätte der Taxi-Fahrer mich wieder gesehen, hätte er sicherlich gedacht ich sei nicht mehr ganz auf der Höhe. Dennoch ging ich die Straße bis nach Sisian, denn ich wollte jeden Meter der Strecke selbst gelaufen sein. Der Streckenabschnitt war aber einer der uninteressantesten und dazu war die Straße eine Schotterpiste. Das war sehr unangenehm zum Laufen da der doch recht frequentierte Verkehr den Staub aufwirbelte und dieser ständig in meinen Augen war oder im Mund. In Sisian musste ich mir überlegen, wie es denn weitergehen soll, denn mein Zelt hatte ich ja verloren. Genau in diesen Gedankengängen hielt ein Taxi neben mir an, der Fahrer stieg aus und machte den Kofferraum auf. Er holte ein kleines grünes Bündel heraus und hielt es meine Richtung. Ich war völlig perplex und brauchte kurz bis ich begriff, dass es mein Außenzelt war. Schnell wollte ich ihm etwas Geld in die Hand drücken, aber er lehnte mit dem russischen „normal'nyy“ ab und stieg wieder ins Auto. Das verstand sogar ich, er betrachtete es als Selbstverständlichkeit etwas, was ihm nicht gehörte dem Besitzer zurückzugeben. Er hätte das Zelt wahrscheinlich auch gut zu Geld machen können, denn ganz billig ist es nicht. Dennoch gab er es mir, ohne etwas dafür annehmen zu wollen. Ganz zu schweigen was für ein großes Wunder es war, dass wir uns in der Stadt überhaupt nochmal trafen. Ich hatte den gestrigen Tag und den heutigen Morgen schon in der Stadt verbracht und nach dem Fahrer gesucht, ihn aber nicht gefunden. Die Weiterreise war also gerettet, zumindest vorerst. Völlig überwältig von diesem Wunder, mit dem ich nun wirklich nicht mehr gerechnet hatte, ging ich aus der Stadt heraus. Ich lief am großen Militärfriedhof vorbei, der nach vielen Invasionen und Grenzübertritten der aserbaidschanischen Armee in den letzten Jahren leider wirklich viel zu groß ist. Weiter ging es den Berg hinauf nach Zorats Karer, einem archäologischen Monument. Die Stätte wird manchmal auch mit Stonehenge verglichen, zwar ist sie nicht ganz so imposant, dennoch stehen hier kreisförmig angeordnete, große Steine auf freiem Feld. Das Ganze soll wohl in der Eisen- und Bronzezeit eine Siedlung gewesen sein und gab Forschern neue Erkenntnisse über die Lebensweise der Menschen im Kaukasus vor rund 4000 Jahren. Zu meinem Glück war kein Besucher mehr dort, also konnte ich in der Nähe mein zurückgewonnenes Zelt aufschlagen.
Tag 12
08.08.2023
21 km
In einem stetig schwächer werdenden Zustand, da ich seit Tagen nicht mehr richtig gegessen hatte, ging ich trotzdem früh los. Ich kam zu den Shaki Wasserfällen, an denen zu dieser frühen Uhrzeit noch kein Anderer war. Ich versuchte etwas zu essen, aber es ging nicht wirklich. Einige Kilometer weiter war bereits bekannt, dass zwei aggressive Hunde nicht allzu gut auf Besucher zu sprechen sind und schon Wanderer gebissen haben. Ich ging also einen beschwerlichen Weg aus dem Tal heraus, um das Gebiet der Hunde nicht zu kreuzen. Vor allem die Aufstiege machten mir immer mehr zu schaffen. Irgendwann kam ich zum Dorf Angeghakot. Dort beschloss ich aufgrund meines miserablen Zustands, dass ich versuchen würde, zurück nach Sisian zu kommen, um mich doch weiter auszukurieren. Auf dem Weg zur Straße nach Sisian hatte ich auf einmal das ganze Gewicht des Rucksacks auf einer Schulter. Der Schultergurt war einfach durchgerissen. Wahrscheinlich hätte ich doch einen neuen Rucksack nehmen sollen, immerhin hat der Alte mich durch Australien und Neuseeland gebracht und war stets ein treuer Begleiter. Aber die hohe Belastung der vorangegangenen Reisen hatten ihre Spuren hinterlassen und an der Stelle war es dann doch zu viel des Guten. Ab da wollte ich nur noch zurück in die Stadt und dort meine weiteren Optionen checken. Ich versuchte mindestens eine Stunde jemanden auf der Straße anzuhalten, der mich mitnehmen könnte. Ich hatte keinen Erfolg. Da ich mich auf einer Hochebene mit starkem Wind befand, konnte ich mein Zelt dort nicht aufstellen. In meiner Verzweiflung über die Rückschläge des Tages ging ich ganze 5 km zurück, um in dem Tal zu nächtigen aus dem ich gekommen war. Nach einigen misslungenen Versuchen, aufgrund des steinharten Bodens, mein Zelt dort aufzustellen, schlief ich das erste Mal unter freiem Himmel. Ich wollte das schon immer mal machen, aber definitiv nicht unter diesen Umständen. Ich wurde die ganze Nacht von Wolfsgeheul und Hundegebell wachgehalten. Wahrscheinlich die schlimmste Nacht meines bisherigen Lebens. Immerhin habe ich sie überlebt, aber in meinen Gedanken habe ich in dieser Nacht entschieden, dass das Abenteuer Armenien vorerst für mich ein Ende haben wird.
Tag 13
09.08.2023
10 km
Mit dem Gefühl der Niederlage, nicht das geschafft zu haben, was ich mir vorgenommen hatte, ging ich wieder zurück nach Sisian. Dort verbrachte ich ein paar Tage bei einer netten Familie, die ein Zimmer über AirBNB anboten. Da meine Gastgeberin Fremdsprachen studiert hatte, konnte ich so immerhin mehr Einblicke in das armenische Leben gewinnen. Ich verstand, wenn auch sicher nur ansatzweise, das Leid was viele armenische Familien, durch die vielen Kriege und Konflikte der letzten Jahre, durchmachen mussten. Sie verlor ihren Mann, der Soldat war, in einem dieser Kriege und ist dadurch alleinerziehende Mutter in einem Land was immer noch große Probleme mit frauenfeindlichen Strukturen hat. Mein „Leid“ der Krankheit und des Abbruchs der Reise erschien in diesem Licht fast schon lächerlich. Ich verließ das Land einige Tage später mit gemischten Gefühlen, aber durchaus mit dem Wunsch noch einmal wieder zu kommen. Also Fortsetzung folgt…irgendwann.
Kommentar schreiben